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Von Katharina Kausche

Sinsheim. Wenn Rüdiger Koch über die vergangenen Monate spricht, könnte man meinen, es gehe nicht um ihn – nicht er wäre vor dem thailändischen Militär nach Singapur geflohen, nicht er war davon überzeugt, ihm drohe die Todesstrafe in Thailand. Ein halbes Jahr nach seiner Flucht und auf der anderen Seite der Erde in Panama fühlt er sich sicherer, hat sogar das Projekt wieder aufgenommen, wegen dem er aus Asien flüchtete. Mit der RNZ sprach der ehemalige Sinsheimer über die ungewissen Stunden auf der Flucht, seine “Jetzt erst recht”-Mentalität und warum ihn die Wahl von Donald Trump zum Millionär machte.

Thailand und Panama – das sind nur zwei Stationen in einem Leben als “Weltenbürger”, wie Koch sich selbst nennt. Seine Jugend hat Koch in Deutschland verbracht. Geboren in Karlsruhe ging er erst in Neckargemünd und später in Sinsheim zur Schule. An die drei Jahre am TG Sinsheim hat der 53-Jährige schöne Erinnerungen – “es war schließlich die Zeit des Erwachsenwerdens”.

Mit Mopeds hatten er und seine Freunde die Gegend von Heidelberg bis in den südlichen Kraichgau “unsicher” gemacht, erinnert er sich. Auch später kam er immer mal wieder nach Sinsheim, um seine Mutter zu besuchen. Die ist mittlerweile weggezogen, Kontakt habe er nur noch zu seinem Cousin in Neckargemünd, erzählt Koch.

Oft hat der Luft- und Raumfahrtingenieur die Geschichte über seine Flucht aus Phuket in Thailand schon erzählt. Das merkt man. Nüchtern redet er über die Stunden, in denen er nicht wusste, was passieren würde. Manchmal springt der 53-Jährige hin und her zwischen den Ereignissen. Eigentlich, sagt er, will er nicht mehr zurückschauen. Sein neues und doch irgendwie altes Projekt stehe jetzt im Mittelpunkt. Und trotzdem: “Ich möchte den Stuss richtigstellen, den die Medien in Thailand geschrieben haben.”

Angefangen hat alles mit seinem ganz persönlichen Traum: einen “Loop” zu bauen. Eine Konstruktion, die in der Erdumlaufbahn platziert wird, den Transport in den Weltraum ohne Raketen ermöglichen soll und bisher nur theoretisch existiert. Für Koch ist das Meer der perfekte Ort, um zunächst eine Kontrollstation und später den Loop zu bauen – “große freie Flächen gibt es fast nur noch auf See und die braucht man, um sicherzugehen, dass nichts schiefgeht und niemand von möglichen herumfliegenden Teilen getroffen wird”.

Zunächst war die Idee rein technisch – mit einer Bekanntschaft bekam sein Projekt dann 2018 eine ganz neue Komponente. Über Freunde traf er Nadia Thepdet und ihren Freund Chad Elwartowski, beide Pioniere der Seasteading-Bewegung, die abseits von Nationalstaaten und in internationalen Gewässern dauerhaft auf See leben wollen. Eine “sympathische Idee”, wie Koch findet. “Warum nicht die See auch zum Wohnen nutzbar machen? In unserer Gesellschaft sind schon immer wieder neue Formen von Gemeinschaft entstanden. Ich denke, dass das möglich ist.”

Ein halbes Jahr bauten sie an der sechs Meter breiten Plattform aus Glasfaserplatten, die auf einem schwimmenden Stahlzylinder angebracht ist. Vor fast einem Jahr brachten sie die Plattform in die 200-Meilen-Zone vor die Küste – nach der internationalen Seerechtskonvention nicht mehr Teil des thailändischen Staates, allerdings noch in der exklusiven Wirtschaftszone. Thepdet und Elwartowski lebten teilweise auf der Plattform. Eine Win-win-Situation wie Koch sagt: “Dadurch war immer jemand auf der Plattform.” So weit so gut, die Zusammenarbeit funktionierte – bis zum 14. April.

Gerade noch gemütlich beim Abendessen, musste auf einmal alles schnell gehen. Mehrere Blogs und Zeitungen, wie die Bangkok Post, hatten über die Beschlagnahmung der Plattform berichtet. Die Royal Navy sehe die Konstruktion als Gefahr für die Souveränität Thailands, worauf unter anderem die Todesstrafe stehe. Koch setzt sonst gerne auf Risiko. So hatte er bei der USA-Wahl gegen Prognosen auf Trumps-Wahlsieg gesetzt und damit nach eigenen Angaben 15 Millionen Euro verdient. Nicht so im April. “Uns war klar: Wir müssen das Land verlassen.” Am nächsten Morgen machten sich die drei mit einem Boot auf den Weg nach Singapur, “mitten in der Nacht wäre es zu auffällig gewesen”. Die Stunden auf dem Boot waren schwer, erinnert sich Koch. “Nadja ist depressiv geworden, Chad wollte fast aufgeben und ich war aggressiv.” Er dachte, jeder Helikopter, jedes Boot suche nach ihnen.

Fünf Tage später dann die Erleichterung: Sie erreichten Singapur. Zwei Wochen bleibt Koch in dem Stadtstaat, bewacht von Militär und einem selbst angeheuerten Sicherheitsdienst, und versucht, mit den Thais zu verhandeln, sagt er. Seine Partner reisen schon nach wenigen Tagen weiter nach Panama. Nach erfolglosen Versuchen folgt Koch ihnen.

So ganz genau weiß niemand, warum das Militär die Plattform als Bedrohung für die Souveränität Thailands ansah. Auf die Seerechtskonvention scheint sich die Navy nicht berufen zu haben, aber auch das ist unklar. Einen offiziellen Haftbefehl hat nämlich bisher keiner der drei erhalten, in ihren Führungszeugnissen taucht ebenfalls nichts auf – das haben sie extra überprüft. Für Koch noch ein Beweis für etwas, was er sowieso seit Beginn vermutet hat: “Mit dieser Aktion wollten sich lediglich ein, zwei Offiziere der Navy gut darstellen, wollten in die Medien kommen. Und die Medien haben da fleißig mitgemacht.” Vom Auswärtigen Amt heißt es auf RNZ-Anfrage, der Fall sei nicht bekannt. Die thailändische Botschaft hat auf mehrere Anfragen der RNZ gar nicht reagiert.

Mit neuem Mut bauen die “Ocean Builders”, Kochs Firma, nun in Panama weiter an ihrem Projekt. Sie haben sich erholt von dem Schreck in Thailand. Auch, weil Koch, unterstützt durch Investoren, selbst die Finanzierung übernimmt. Bereits in diesem Jahr wollen sie vor der Küste Panamas mehrere bewohnbare Gebäude ins Wasser lassen. Diesmal noch auf dem Staatsgebiet, die offizielle Erlaubnis haben sie schon.

Die sogenannten “Seapots” kommen direkt aus dem 3D-Drucker. Stück für Stück wird gedruckt und am Ende zusammengesetzt, “so können wir die Häuser individuell gestalten”. Ist das Projekt einmal in Gang gekommen, sollen dann auch Bestellungen für persönlich angepasste See-Häuser möglich sein. “Wir wollen auch Seapots für knapp 150.000 Euro möglich machen”, sagt Koch. “Das soll kein Projekt für Scheichs sein, sondern eine Bewegung, an der möglichst viele teilhaben können.”

Die Versorgung wollen die “Ocean Builders” per Boot sichern. Auch hier tüftelt Koch schon fleißig. Er sprudelt über vor Ideen, denkt schon über mögliche Wirtschaftszweige nach, um die künftigen Gemeinschaften zu versorgen und Arbeitsplätze zu schaffen. Seine Prioritäten haben sich geändert: “Ich will die Seasteading Idee umsetzen. Jetzt erst recht.”

Auch wenn er so nüchtern redet, so ganz abgeschlossen zu haben scheint der 53-Jährige noch nicht. Aus der Rückschau sei natürlich vieles einfacher, relativiert er. Manchmal schimmert dann aber doch wieder die Wut durch, wenn er über die thailändischen Medien und die Royal Navy spricht. Den Verlust seiner Arbeit und die Stunden der Angst scheint er mit Ironie zu verarbeiten. “Die Thais dachten, wir sitzen da gemütlich auf unserer kleinen Plattform und planen, Thailand zu übernehmen.” Dass sie falsch lagen, will er nun mit seinem Projekt in Panama beweisen.

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